Von der Kunst Motorrad zu fahren I.

Ja! Ich bin fasziniert. Von der Fortbewegung. Gewissermaßen vom Antistillstand.
Bei fortschreitender Erfahrung hat es eben nichts mit Glück zu tun, wenn blauäugige Anfänger-Situationen ausbleiben, in denen ich derart in Fahrt geriet, dass ich urplötzlich die Blickführung verlor und massivste Zweifel an der gewählten Linie konstatierte -quasi aus einem Selbstüberschätzungs-Traum geweckt wurde.

In Bewegung oder besser, voll in Fahrt zu sein, erfordert bestmögliches auf der Straße bleiben. Hängenbleiben oder gar Abkommen? -Nee, Bedankt. Wer hätts gedacht?

Beginners neigen zu der Frage: Wie soll das auf Dauer bloß gut gehen? Bin ich nicht ganz und gar auf mich und mein Bike angewiesen? Rein nichts und niemand kann eingreifen!

Fortgeschrittene wissen, dass es genau so ist. Die Quintessenz dessen, was die Faszination Motorradfahren eben so ausmacht: Ausgeliefert zu sein!

Ok, die Faszination besteht keinesfalls darin in einen blinden Flow zu gelangen.
Allerdings: in Fluss muss mer schon kommen. Oder besser gesagt in Einklang.

Einklang, Einssein.
-Geschieht von selbst.
-Findet statt.
Jedenfalls sobald der unstete, ewig alles analysierende Verstand -dem spontanen Sein-  endlich Platz macht.

-Dann aber gewaltig:
In unzähligen -aberwitzig kurzen- Augenblicken, werden überlebenswichtige Entscheidungen getroffen.
Klingt vielleicht verrückt, vom Wesen her schlicht simples, situationsgerechtes Handeln.

Naja.
Im Grunde ist es verrückt.
Eine scheinbar nicht normale Ebene der Wahrnehmung.
Ein zwischen den normal wahrgenommenen Situationen eingefügter, eingerückter, ergo verrückter Fokus.

Mit Brennpunkt im Hier und Jetzt -kein reflektorisches Denken- einfach Handeln -Ohne das geringste zu hoffen, ohne intellektuelle Anstrengung -völlig ungeplant, spontan -und trotzdem situationsgerecht.


Eben noch in moderater Schräglage ne Rechtskurve hingezimmert.
Ohne zu zögern im nächsten Moment -mit reichlichem Einsatz von Schräglage- die sich anbietende Linie einer Linkskurve genutzt.
Dabei genüsslich schön locker bis knapp vorm äußeren Fahrbahnrand gezirkelt.
Und zack weiter in die nächste schwindlig machende S-Kombination…

Da scheint wenig Zeit, die Gegend touristisch abzutasten.
Aber nicht täuschen, es bleiben en masse  Sinneseindrücke. Neben der aufgesogenen Landschaft kommt der Geruchssinn voll auf seine Kosten.
Naja. -Jedenfalls wenn nicht grad ein Diesel mit Abgas-Mogelei vor einem die Luft verrußt.

Der Fokus auf dem alles bestimmenden Moment. Absolute Hingabe an den traumwandlerisch und zugleich sicher zu fahrenden Flow -zwischen Biker, Bike und Straße.

Ja. Das Stichwort lautet sicher. Ich fahre einfach nicht schneller, als ich im überschaubaren Bereich die Fuhre sicher zum Stehen bringen kann.

Also kein blindes Vertrauen, nach dem Motto ‚wird schon gut gehen‘. Zugegebenermaßen erfordert dies ein gerüttelt Maß an Erfahrung.

Mein Rat an mich selber und alle, die ihn hören wollen:
keep cool.

-Motorrad -namentlich Schräglagen- fahren, macht irrsinnig Laune. Und die frappierend geniale Erkenntnis dabei: es erfordert definitiv kein unbotmäßiges Tempo.

Einzig der Moment, in dem das bike zu weit in Schräglage abzutauchen droht, erfordert bissi gefühlvoll dosiertes Stützgas.
Das geht dann auch gerne mal am Scheitelpunkt der Kurve in Gas aufziehen über, um mit Verve heraus zu beschleunigen.

Klingt alles martialischer als es ist.

In Wirklichkeit beschert mir gekonnt angepasstes Beschleunigen ein Sicherheit vermittelndes ‚Anlehngefühl‘.
Als würde ich durch einen vorgeformten, mich völlig umschließenden Tunnel gesogen, an dessen Wänden ich überall Halt finde. -Ein Art des Abstützens,  dass mich schier nichts vom Kurs abzubringen vermag.

Ja, so’n bissi Gas…

-Ok, kommt auch auf die Leistung des bikes an. Bei mehr als ~80 Nm Drehmoment könnte ne Traktionskontrolle, die ggf. die Schwuppdizität etwas wegregelt, schon mal ganz hilfreich sein.
Egal.
Das Bike sollte möglichst kein ungepflegter Oldtimer, eher irgendwie auf dem Stand der Zeit sein, dann passt scho‘.

Zurück zum Thema: Die Kunst Motorrad zu fahren.
Ja, es ist eine Kunst. Genauso wie Tanz oder Sex. Ein großes Maß an Vertrauen, Hingabe und Einfühlungsvermögen ist unabdingbar.

Ich spüre die Straße, ihre Oberfläche, all ihre Verwerfungen, die Haftung der Reifen, also den Grip -genauso, wie sein drohender Verlust vulgo Abriss, dabei die ideale Linie instinktiv im Blick, also keine Ablenkung.

Ich schmiege mich in und an das Bike, verändere so den Schwerpunkt und die Aufstandsfläche der Reifen. Gehe tiefer in Schräglage, winkle das Bein ins Kurveninnere, rutsche ganz hinein, stelle vielleicht den Ellbogen nach außen oder drücke meine Stute mit sanfter Gewalt nach unten.

Es ist ein inniger Tanz.
Mit dem Bike. Mit der Straße. Mit mir.

Scheinbar ohne Choreographie. Doch bei zunehmender Erfahrung ergibt sich ein stetig wachsendes Repertoire anwendbarer und adhoc neu interpretierbarer Tanzschritte.

Getanzt wird übrigens auf den Fußballen.
Nie auf platt aufgestellten (Enten)Füßen.

Dabei ergibt sich die nötige Körperspannung, die wie von selbst elegante, fluffige Tanzbewegungen bewirkt.

Beim Biken sind also die Ballen ständig auf den Fußrasten.
-Niemals der Mittelfuß. Diese Stellung sorgt unmittelbar für eine passive Haltung. Der Biker wird zur Zuladung, statt zum essentiellen Bestandteil des Tanzes. Eine Art Zementsack, der sich mit Mühe auf dem Bike festhält, um nicht herunter zu fallen.

Ohh!
-Nur ein dezentes Ohh, aber eben ein realer, wenn auch klitzekleiner Gedanke: ‚was wenn in der nächsten Kurve einer meine Fahrbahn kreuzt? Ein Langholztransporter, eine Harley?‘
-‚Ha! Alarmglocke oder was?!

Nee, ich fahr ja nicht blind durch ne Kurve. Ich nutze alle vorhandene Sensorik. Und nu? Bleib ich mal schön rechts. -Und zwar sowas von rechts. Tempo? Nehm ich ordentlich was raus. -Keine Angst, ich trag das Bike schon ned um die Kurve.

Und?

‚Jaa. -Gegenverkehr hat sich ereignet.‘
Auf meiner Fahrbahnhälfte.
Kam ’n Reisebus.

Egal.
Ich wusste ja, wie ich mich einzustellen hatte.

Und?
Genau das ist Teil der Kunst: die Intuition. Wer auf diese innere Stimme reagiert ist klar im Vorteil.

Apropos Vorteil.
Joa, der kommt aber erst im nächsten Kapitel zum Zug, ähh, zum Bike, also zum Biker.

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